Journalismus

Ein Kritiker und Gentleman
„Keiner will einen schlechten Film machen...“



Marc Hairapetian, freier Filmkritiker und Herausgeber des Kulturmagazins SPIRIT – EIN LÄCHELN IM STURM, im Gespräch über die Liebe zum Film, Fairness und Stanley Kubrick.

Was macht einen Filmkritiker zum Filmkritiker? Die Liebe zum Beruf? Die Leidenschaft zum Film? Oder, dass er 55mal Kubricks „Space Odyssee“ gesehen hat?
Bei Marc Hairapetian ist es wohl alles. Schon mit 16 Jahren gründete der Wahlberliner mit armenischen Wurzeln sein eigenes Kulturmagazin, bei dem SPIRIT – EIN LÄCHELN IM STURM nicht nur Name, sondern auch Programm ist. Seit mittlerweile 22 Jahren existiert das Magazin – und hat seine Klientel längst gefunden.

„Mit dem SPIRIT habe ich schon zu Zeiten des eisernen Vorhangs Abonnenten aus der Tschechoslowakei erreicht, auch aus Kanada und Mexiko. Es ist immer ein Abenteuer gewesen und das wird es nach wie vor bleiben. Andererseits denke ich auch, dass wir momentan in einer Zeit leben, in der die Leute wieder auf ‚Special Interest’-Sachen ansprechen, sodass auch ein Magazin wie SPIRIT überlebt.“Schwarz-Weiß ist dabei nur das Layout, der Inhalt eine Art buntes Kultur-Potpourri: von Film-,
Theater-, Literatur-, Musik- und Hörspiel-Rezensionen über Interviews bis hin zu Portraits. Der Gradmesser für das Erscheinungsbild des SPIRIT ist seit der ersten Auflage Marc Hairapetian. Routine? Fehlanzeige!
Die Illusion der filmischen Wirklichkeit kann ihn nach wie vor einholen:

„Ich sehe zwar einen Film immer mit den Augen eines Kritikers, aber auch unvoreingenommen. Und wenn er gut gelingt, ist es so, dass ich vergesse, dass er gemacht ist. Ich habe dann zwar immer noch den Dualismus, dass ich denke: Die Kamera oder die Musik sind gut eingesetzt. Aber die Geschichte verzaubert mich dann letztendlich so, dass ich sie für wirklich halte.“

So weit, so gut. Doch nicht jede Geschichte kann verzaubern. Muss sie auch nicht. Ob ein Film begeistert oder enttäuscht, ist zweifelsohne von der Subjektivität der eigenen Vorlieben abhängig. Wie also über die Sehenswürdigkeit eines Films entscheiden, wenn man sich einem Konglomerat unbekannter, individueller Leservorlieben gegen-über sieht?

„Die Entscheidung, wie ich einen Film bewerte, treffe ich meistens über das Gefühl. Wenn ich eine Filmkritik schreibe, versuche ich mich nicht zu sehr wissenschaftlich oder soziologisch zu orientieren, sondern den Gesamtaspekt eines Filmes zu ergreifen.“

Schließlich schreibe der Filmkritiker keine Nachrichten, sondern äußere seine Meinung gegenüber dem Leser.
Objektivität scheint da zweitrangig. Zwar hat sich der studierte Publizist als Kritiker auch einer Form von Informationspflicht verschrieben, dennoch solle der Film nicht zum Politikum gemacht werden, sondern als das gesehen werden, was er vorrangig ist: Kunst.
Vom dogmatischen Abspulen standardisierter Kriterien, die dem Leser Rationalität letztlich nur vorgaukeln, hält er nichts. Ein Umstand, den er auch bei so mancher deutschen Kritik moniert.
„In Amerika hat man meist mehr Ahnung von den technischen Aspekten eines Films, wohingegen die Franzosen und Italiener eher bereit sind zu schwärmen. Die Deutschen sind da ein bisschen nüchterner. Das Nüchterne ist aber nicht so das meinige. Ich kann schwärmen, ich kann auch etwas verreißen, aber ich versuche dabei immer fair zu bleiben.“Fairness – das ist für Marc Hairapetian, der zusätzlich als freier Journalist für die Neue Züricher Zeitung, den Filmdienst und Spiegel-Online schreibt, keine hohle Phrase. Und das aus gutem Grund, denn er weiß aus eigener Erfahrung, wie viel Arbeit hinter einem Kino- oder TV-Film steckt. Schließlich war er selbst schon bei einigen Produktionen, unter anderem in Andreas Dresens Episodendrama „Nachtgestalten“ oder beim SFB-Tatort „Der zweite Mann“, vor der Kamera zu sehen – kennt sozusagen beide Seiten. Hat er dadurch einen anderen Blick auf die Filmbranche gewonnen?

„Ich habe vielleicht mehr Verständnis. Man kann als Filmkritiker eine Arbeit von Leuten, hinter der Monate und Jahre stecken, in ein paar Sätzen nieder machen und verreißen. Aber keiner will einen schlechten Film machen. Und das sollte ein Filmkritiker schon berücksichtigen – auch wenn ihm eigentlich nach einem zynischen Verriss zumute ist, weil er gerade einen schlechten Tag hat.“

Die engstirnige Trennung von Filmbranche und Filmjournalismus sei, glücklicherweise, längst überholt. Man kennt sich untereinander – mit Vetternwirtschaft aber habe das nichts zu tun. Wer einen Faible für das Medium Film hat, der interessiere sich auch für die Menschen, die dahinter stecken. Kollegen, die sich allein auf das Verfassen von Kritiken beschränken, sind ihm suspekt.

„Wenn ich die Auswahl hätte, eine Kritik zu schreiben oder ein Interview mit einer Person zu machen, würde ich zu 99,9 Prozent sagen: ich mache das Interview. Weil ich einfach den Menschen, der hinter dem Film steht, sprechen, besser kennen lernen und verstehen möchte.“

Dementsprechend lang ist die Liste seiner Interviewpartner – von Sir Peter Ustinov bis hin zu Billy Wilder und Sophia Loren. Dennoch: Fragt man ihn nach dem Highlight seiner Karriere, muss er nicht lange überlegen. Für den Stanley-Kubrick-Bewunderer war es ein einmaliges Erlebnis, mit Christiane Kubrick zu sprechen. Kein Wunder also, dass sein Lieblingsfilm, „2001 – A Space Odyssee“, ein Kubrick-Film ist. Was gerade diesen Film so besonders macht? Ganz einfach.

„Die grundsätzlichen Fragen werden gestellt. Woher komme ich? Wohin gehe ich? Er zeigt, dass dem menschlichen Denken auch Grenzen gesetzt sind. Was macht unser Bewusstsein aus? Ist es irgendwie fremdgesteuert? Das finde ich absolut faszinierend – auch den Einsatz der Musik in ‚2001’. Der Film hat mich einfach ganz maßgeblich beeinflusst.“Zweifellos: Marc Hairapetian hat sich voll und ganz dem Film verschrieben. Dass dieser separat vom Kino existieren kann, auch wenn es im Zuge des Konkurrenzkampfes gegen das unsägliche „DVD-Homekino“ doch noch verdrängt werden sollte, davon ist er überzeugt. Von der Krisenstimmung um das Kino hält er nichts.

„Klaus Maria Brandauer hat einmal zu mir gesagt ‚Wir befinden uns immer alle in einer Krise. Wir wollen es nur nicht wahrhaben.’ Und da hat er auch vollkommen Recht. Wenn es schlimm kommen und selbst das Kino untergehen würde, wird es wahrscheinlich immer noch Filme geben. Auch wenn sie dann vielleicht in anderen Formaten gezeigt werden. Ich denke, dass das dann doch noch positiv bewertet wird. Es sei denn, wir leben in einer so gleich geschalteten und oberflächlichen Gesellschaft, dass der Film überhaupt nicht mehr gefragt ist.“

Schwer vorstellbar, solange es Filmliebhaber wie Marc Hairapetian gibt.

Zusatzinfos:

Die Online-Ausgabe von SPIRIT – EIN LÄCHELN IM STURM ist unter der Web-Adresse www.spirit-fanzine.de abruf- und anschaubar.

Judith Goers


MaHa of La Mancha (Foto: Mike Liebegot)

Copyright 2004 - 2017 by Marc Hairapetian / Spirit - Ein Lächeln im Sturm

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